Forschungschwerpunkte/ -projekte

Aktuelle Forschungsprojekte

Der Schüler:innenjob im Homeworkcycle 

Eine ethnografische Untersuchung in Schule und Familie.

Mit der Perspektive einer praxistheoretisch orientierten Schüler:innenforschung, die explizit den Fokus auf das Handeln von Schüler:innen legt und die paradigmatisch in den Studien zum ‚Schüler:innenjob‘ (Breidenstein) angelegt ist, soll in diesem Forschungsprojekt das schulbezogene Lernen und Bearbeiten von (Haus-)Aufgaben nicht nur innerhalb, sondern gerade auch außerhalb des Unterrichts und damit an allen Stationen des ‚Homework Cycle‘ untersucht werden. Wesentliches Element des ‚Schüler:innenjobs‘ ist, dass in Bezug auf schulische Anforderungen nicht die Praktiken und Handlungslogiken von Institutionen oder Lehrkräften nachvollzogen werden, sondern die von Schüler:innen selbst. Dieser Fokus trägt auch der Besonderheit von Hausaufgaben Rechnung, dass sich hausaufgabenbezogene Praktiken und Artefakte in einem Kreislauf zwischen Schule und Orten der Hausaufgabenerledigung bewegen, in denen die Schüler:innen selbst die Konstante bilden. Seinen begrifflichen Niederschlag findet diese Dynamik in der Bezeichnung des Homework Cycle (Landers), der also die Beschäftigung mit Hausaufgaben in einem “Kreislauf von Kontexten” ausdrückt:

Die Studie lässt darüber hinaus Erkenntnisse zur Rolle von Hausaufgaben an der Reproduktion sozialer Ungleichheit erwarten.

Laufzeit: 01.06.2023 – 31.05.2026
Leitung: Karin Bräu (JGU) und Hedda Bennewitz (Universität Kassel)
Förderung: DFG

Sensibilisierung – Empowerment – Abwehr: Rassismuskritische Reflexions- und Bildungsprozesse von Lehramtsstudierenden (AT) | Promotionsprojekt Adolé Akue-Dovi

Wie unsere Gesellschaft sind auch Bildungsinstitutionen rassistisch geprägt. Studien, welche sich mit rassistischen Diskriminierungserfahrungen von Schüler*innen sowie von Referendar*innen und Lehrpersonen auseinandersetzen, kommen zu den Ergebnissen, dass sowohl Schüler*innen als auch Referendar*innen und Lehrpersonen an Schulen Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen sammeln. Außerdem bieten Lehrpersonen sowie schulische Mechanismen im Umgang mit Rassismus den Schüler*innen wenig Schutz und agieren teilweise als „Produzenten und Ermöglicher rassismusrelevanter Ungleichheiten“ (Karabulut 2020, S. 134). Diese und weitere Studien verweisen auf die Wichtigkeit, an dieser Stelle weitere Forschung zu betreiben und dabei speziell angehende Lehrpersonen, ihre Ausbildung und Hochschulen als Bildungsinstitution zu fokussieren. Machtkritische Fragen zur Konstruktion von Wissen und Wissenschaft, wie Grada Kilomba sie formuliert, sind in der Auseinandersetzung mit Strukturen im Hochschulkontext wegweisend, denn die Hochschule ist “not a neutral location. It is a white space where Black people have been denied the privilege to speak” (Kilomba 2019, S. 25). Außerdem sind Auseinandersetzungen zu Widerstandsformen gegen rassistische Strukturen im Hochschulkontext, wie Emily Ngubia Kessé (2015) sie dokumentiert, von hoher Bedeutung. Die zugrundeliegende Perspektive des Dissertationsprojektes ist die rassismuskritische, welche rassistische Formen des Handelns und Denkens kritisch hinterfragt und Veränderungsperspektiven, Möglichkeiten und Alternativen erarbeitet (Mecheril und Melter 2010).
Die in den letzten Jahren vermehrt angebotenen rassismuskritischen Hochschulseminare scheinen die bisher dominante Form von Wissen und Wissenschaft zu hinterfragen und Wissensbestände zu vervollständigen. Daher liegt der Fokus des vorgestellten Dissertationsprojektes, welches eingebunden in das Graduiertenkolleg Bildungsprozesse in der diskriminierungskritischen Hochschullehre realisiert wird, auf schulpädagogischen Lehrveranstaltungen, die rassismuskritisch perspektiviert und an angehende Lehrpersonen gerichtet sind. Dabei werden sowohl ethnografische Beobachtungen von Lehramtsstudierenden als auch autoethnografische Protokolle der Forschenden in der Rolle als Dozierende berücksichtigt. Eine rassismuskritische und intersektionale Perspektive einnehmend, soll somit multiperspektivisch untersucht werden, welche Reflexions- und Bildungsprozesse von Lehramtsstudierenden angestoßen und rekonstruiert werden können. Anhand teilnehmender Beobachtungen in rassismuskritisch perspektivierten Hochschulseminaren wird den Fragen nachgegangen, wann Widerstände und Erkenntnismomente bei den Studierenden beobachtbar sind, an welchen Stellen im Seminar Diskussionen und Irritationen auftreten und wie die Studierenden über ihre eigene Positionierung in rassistischen Machtverhältnissen sprechen. Das Ziel besteht darin, ein tieferes Verständnis für die in rassismuskritisch perspektivierten Seminaren angestoßenen Prozesse und Dynamiken zu erlangen und daraus Impulse für die rassismuskritische Lehrer*innenausbildung abzuleiten.

Lernprozesse in der diskriminierungskritischen Hochschullehre

Diskriminierungsstrukturen und -erfahrungen sind allgegenwärtig. Schule, Soziale Arbeit, kulturelle Bildung und Hochschulen stellen hier keine Ausnahmen dar. Im Hinblick auf Bildungs- und Wissenschaftsorganisationen stellt sich vor diesem Hintergrund einerseits die Frage, inwiefern Diskriminierung in Wissensbestände und -erwerb eingelagert ist und andererseits, welche Möglichkeiten für diskriminierungskritische Bildungsprozesse in den Institutionen vorhanden sind. In den letzten Jahren sind vermehrt selbst- und machtreflexive Lehr-/Lernmaterialien entstanden, die auch in der Hochschule eingesetzt werden. Gleichzeitig ist noch ungeklärt, welche Bedingungen für diskriminierungskritische Bildungsprozesse nötig sind, wie Widerstände produktiv gemacht und Prozesse eines diskriminierungskritischen Conceptual Change befördert werden können. Das Forschungsprogramm setzt an diesem Desiderat an: Im Rahmen universitärer Lehrveranstaltungen werden die Auseinandersetzung mit diskriminierungskritischen Materialien, die Umgangsweisen mit dabei auftretenden Widerständen sowie die Entwicklung von Haltungen und (veränderten?) pädagogischen Handlungsweisen, kurz: Bildungsprozesse, untersucht. Dabei fokussieren wir auf die Auseinandersetzung mit Ungleichheit und Diskriminierungskritik im Bereich der Lehrer:innenbildung, der Sozialen Arbeit und der kulturellen Bildung.

https://www.diskriminierungskritische-bildungsprozesse.de/

Leitung:  Yalız Akbaba (Schulforschung), Karin Bräu (Schulforschung), Alexandra Klein (Sozialpädagogik), Carmen Mörsch (Kunstdidaktik), Constantin Wagner (Sozialpädagogik) – alle JGU

Doktorand:innen: Adolé Akue-Dovi, Stefan Bast, Latifa Hahn, Merle Kondua, Lisa Mends, Sheila Ragunathan, Mako Sangmongkhon, Purnima Vater.

Finanzierung: Gutenberg-Nachwuchskolleg der JGU: 218.000€

Laufzeit: 2021-2024

Klasse in der Klasse. Doing Class in Schule und Unterricht I Promotionsprojekt Julian Breit

In Deutschland herrscht große Ungleichheit bei den Bildungschancen. Statistisch bedeutet das beispielsweise, dass der Anteil an Studierenden aus einem Akademiker*innenhaushalt deutlich höher ist als der von Kindern von Eltern, die keine akademische Ausbildung durchlaufen haben. Dieser Bildungstrichter existiert schon beim Übergang von der Grund- an eine weiterführende Schule, wird aber umso gravierender, je höher die Abschlüsse. Zum Beispiel promoviert eines von 100 Kindern ohne Elternteil mit abgeschlossenem Hochschulstudium, bei Kindern von Akademiker*innen sind es zehn.

Das deutet schon darauf hin, dass das Elternhaus bzw. die soziale Umgebung eines Menschen (soll heißen: seine soziale Herkunft) in Deutschland eine starke Rolle für die Bildungskarriere spielt. Beim PISA-Bericht für 2018 wird zusammenfassend festgehalten, „dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft […] und Lesekompetenz in Deutschland im Vergleich zum OECD-Mittel überdurchschnittlich ausgeprägt ist.“ Es geht dabei nicht darum, dass Kinder an unterschiedlichen Schulen unterschiedlich gebildet werden, sondern dass die Bildungsbiografien von Heranwachsenden in Deutschland maßgeblich von dem sozioökonomischen Hintergrund ihrer Familien bestimmt sind. Insgesamt mangelt es in der Bundesrepublik also nicht unbedingt an Bildungschancen per se – auch wenn es dabei durchaus starke regionale Unterschiede gibt –, aber an einer fehlenden Chancengerechtigkeit. Schon 2004 verwies der Sozialstrukturanalytiker Rainer Geißler in Anbetracht der ersten PISA-Studie auf diese Diskrepanz und betitelte sie als „Illusion der Chancengleichheit“, 2008 erklärte die Bildungssoziologin Heike Solga auf Basis langjähriger Forschung, „wie das deutsche Schulsystem Bildungsungleichheiten verursacht“. Inzwischen scheint sich an der Diskrepanz zwischen der sozialen Realität, dass Schule die sozialen Verhältnisse (re)produziert, und dem politischen Anspruch, dass man den schulischen Bildungsauftrag „über jedes gesellschaftliche Problem stülpen“ (so Aladin El-Mafaalani 2020 in seinem Buch "Mythos Bildung") könne und diese somit verschwinden, nichts Grundlegendes geändert zu haben.

Aus diesen makroperspektivischen Betrachtungen und Feststellungen ergeben sich für das Promotionsprojekt Fragestellungen, die sich mit mikroperspektivischem und interaktionsanalytischem Fokus der Institution Schule und noch genauer dem sozialen System des Unterrichts nähert. Zum einen stellt sich anschließend an die Konzeptionalisierung des Doing Difference (siehe dazu West und Fenstermaker, die das Doing vor allem in Hinblick auf Gender analysiert haben) die Frage, ob und inwiefern ein Doing Class in der Schule existiert. Wie bestimmen also performative Praktiken des Habitus den Alltag im Unterricht und welche Wirkmacht entwickeln Milieu/Klasse/soziale Herkunft in der Schule? Wie werden diese Differenzkategorien situativ hergestellt und wie drückt sich in diesem Kontext die Macht aus, die mit gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnissen einhergeht?  Inwiefern zeigen sich Akte von Abweichung und Widerstand in der normgebenden Institution Schule herausbilden (in Anlehnung an die Dissertation von Yalız Akbaba (2017): Lehrer*innen und der Migrationshintergrund. Widerstand im Dispositiv). Auch ist damit eng die Frage verknüpft, wie überhaupt eine sinnvolle Sprache über die Problematik gefunden werden kann, die weder in Wortwahl noch in der Beschreibung zur Reifizierung der Diskriminierung und Ungleichbehandlung beiträgt oder diese legitimiert.

Abgeschlossene Forschungsprojekte (Auswahl, seit 2018)

Undoing Disability. Transnormalistische Leistungspraktiken in inklusivem Unterricht

Der Anspruch an Inklusion als Wertschätzung aller Menschen ohne Hierarchisierung von Fähigkeiten steht mit der Leistungslogik von Schule in einem starken Spannungsfeld. Nachdem sich in vielen Studien die massiv verwurzelte ableistisch codierte schulische Ordnung gezeigt hat, die auch in Inklusiven Settings permanent Exklusionen produziert, untersuchen wir Spuren des Widerstands von Seiten der Lehrer:innen und Schüler:innen gegen fähigkeitshierarchisierende Zuschreibungen im Unterricht und in der Schule. Mit einem ethnografischen Zugang an reformorientierten, inklusiven Schulen, in denen ein reflexiver Umgang mit dem schulischen Leistungsverständnis vorausgesetzt wird, werden im Projekt transnormalistische Praktiken, die Teilhabemöglichkeiten performativ prozessieren, identifiziert und vor dem Hintergrund möglicher Ambivalenzen untersucht.

Leitung: Yalız Akbaba und Karin Bräu (beide JGU)

Mitarbeiter: Julian Breit

Finanzierung: Vorstudie aus Eigenmitteln

Der Anspruch der Inklusion im Spannungsfeld von Meritokratie und egalitärer Differenz

Aus fachdidaktischen, schul-, sonder- und allgemeinpädagogischen sowie soziologischen Perspektiven wird der institutionelle Wandel im Bildungsbereich untersucht, der durch den Inklusionsanspruch in Gang gesetzt wurde und wird. Die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems stellt seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland eine normative Maßgabe für alle Institutionen des Bildungsbereichs dar, nämlich Inklusion und Teilhabe zu realisieren und das Prinzip der „egalitären Differenz“, also der gleichwertigen Teilhabe aller Schüler*innen im Bildungssystem – unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit – zu stärken. Der daraus entstandene Schulentwicklungs- und Innovationsschub ist allerdings insofern gefährdet, insofern das Bildungssystem gleichzeitig dem meritokratischen Prinzip zu folgen vorgibt, für das Leistung, Selektion und Wettbewerb um Abschlüsse und berufliche Optionen zentral sind. Die Entwicklung zu einem „inklusiven“ Bildungssystem hat demnach auf allen Systemebenen (v.a. Unterricht, Einzelschule, Bildungsverwaltung und -politik), mit der Bearbeitung und Ausbalancierung dieses Spannungsfeldes von Teilhabe und Leistungswettbewerb zu tun. Die zentrale Fragestellung der Forscher:innengruppe lautet: Wie wird auf allen Ebenen des Bildungssystems in der sozialen Praxis das durch den Innovationsanspruch sich verschärfende Spannungsfeld der gleichzeitig geltenden Prinzipien egalitärer Differenz und Meritokratie bearbeitet und welche realen Folgen kann das für das Bildungssystem haben?

https://www.uni-frankfurt.de/109385511/Forschungsinitiative_Inklusion_im_Spannungsfeld

Leitung: Karin Bräu (JGU) und Diemut Kucharz (Uni Frankfurt/M.) (als Sprecherinnen); Katja Adl-Amini, Barbara Asbrand, Isabell Diehm, Michael Fingerle, Julia Gasterstädt, Dieter Katzenbach, Matthias Martens, Ulrich Mehlem, Mirja Silkenbeumer, Michael Urban, Rose Vogel (alle Uni Ffm); Yalız Akbaba, Anja Hackbarth, Christine Schlickum, Anja Müller (alle JGU)

Mitarbeit: Anna Kistner, Katharina Kanz, Julian Breit

Finanzierung: RMU-Initiativfonds: 118.000€

Laufzeit: 2019-2021